Geschichte

Die Geschichte der Capoeira

Capoeira – ein afro-brasilianischer Tanzkampf

Die Wurzeln der Capoeira liegen im westlichen Afrika, von wo aus die meisten Sklaven während der Kolonialzeit nach Brasilien verschleppt wurden.
Heutzutage ist es schwierig zu sagen, wie und wo genau Capoeira entstand, da es wenige Dokumente gibt, die die Entstehungsgeschichte dieser brasilianischen Kampfkunst wirklich belegen.
Im Zuge der Kolonialisierung des heutigen Brasiliens wurden Menschen unterschiedlicher Ethnien nach Brasilien verschleppt, unter ihnen die Bantus, die Nagôs und die Yorubás. Zur Arbeit auf Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen wie auch in Minen und auf Feldern gezwungen, eigneten sich die Sklaven eine Form der Selbstverteidigung an, um sich gegen ihre Herren und deren Misshandlungen zur Wehr setzen zu können.
Capoeira entstand unter anderem in den “Terreiros” nahe der Senzalas, den Sklavenhäusern. Zur Aufrechterhaltung der afrikanischen Kulturen und der Ablenkung von den alltäglichen Strapazen führten die Menschen Rituale ihrer Heimat aus, zu denen auch Kämpfe und Kampfspiele zählten. Da den Sklaven jedoch jede Form von Kampf verboten war, tarnten sie die Ausübung traditioneller Kämpfe als Tanz. Aus dieser Mischung entstand der Vorläufer der heute bekannten Capoeira.

Die Quilombos

Viele Sklaven wollten den Qualen der Sklaverei entgehen und versuchten zu fliehen. Diejenigen, denen die Flucht gelang, schlossen sich meist in Gemeinden zusammen und lebten in sogenannten Quilombos versteckt in dichten Wäldern und entlegenen Orten. Im Laufe der Zeit wuchsen die Quilombos und breiteten sich über das ganze Land aus. Die Quilombolas, also die geflohenen Sklaven und deren Familien, führten die Tänze, Rhythmen und Riten ihrer Heimat aus, um sich zu amüsieren und die ihnen wichtigen Daten und Feste zu feiern und ihre Kultur lebendig zu halten. Ein praktiziertes Ritual war der N’Golo, der Zebratanz, bei dem das Eintreten ins Erwachsenenalter der Jugendlichen zelebriert wurde. Die jungen Männer kämpften bei diesem Ritual zum Takt von Atabaques und versuchten, den Gegner mit dem Fuß am Kopf zu treffen. Wer dies schaffte, durfte sich ein junges Mädchen, dessen Ende der Kindheit ebenfalls gefeiert wurde, als Partnerin aussuchen. Aus diesem kriegerischen Ritual heraus entwickelten die Menschen eine Kampftechnik, um ihre Geschicklichkeit zu trainieren und sich im Fall eines Angriffs zur Wehr zu setzen. Gefürchtet waren zum Beispiel die “Capitaes do Mato” – Männer, die von den Plantagenbesitzern beauftragt wurden, die entflohenen Sklaven zurück zu bringen.

Die Zeit der Maltas

Mit der Unterzeichnung des “Lei Aurea” am 13.Mai 1888 durch Prinzessin Isabel, Tochter von Dom Pedro II, wurde die Sklaverei in Brasilien offiziell abgeschafft. Für die nun freien Sklaven begann damit jedoch eine weiterhin schwierige Zeit, da sie weder Arbeit noch Hab und Gut besaßen. Die Wenigen unter ihnen, die eine Arbeit finden konnten, waren meist weiterhin Misshandlungen und Diskriminierung ausgesetzt. Ohne eine wirkliche Teilhabe an der Gesellschaft waren die meisten ehemaligen Sklaven folglich gezwungen, sich mit den Fähigkeiten durchzuschlagen, die sie besaßen. Es begann die Zeit der “Maltas”, Gruppen von Capoeiristas, die von den Monarchen bezahlt wurden, um politische Akteure einzuschüchtern oder um ihre politischen Interessen durchzusetzen.
Einige dieser Maltas kämpften auch für die Gerechtigkeit und Freiheit der Sklaven, die noch in Gefangenschaft lebten. Durch ihre Fähigkeit der Capoeira schüchterten sie die Großgrundbesitzer ein, die das Lei Aurora nicht akzeptierten und “ihre” Sklaven nicht freigaben.
Capoeira war ein wichtiges Instrument im Kampf gegen die Sklaverei in Brasilien und steht bis heute für Freiheit und Unabhängigkeit. Auch deshalb gibt es kein Regelhandbuch oder festgeschriebene Abläufe. Capoeira ist mehr als ein Sport und so nur vor dem Hintergrund des geschichtlichen Ursprungs und der Weiterentwicklung wirklich zu verstehen.

Verbot der Capoeira

Viele Politiker und einflussreiche Bürger sahen in den Maltas eine Gefahr für ihre Macht und ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen. Sie ließen die Anhänger der Maltas verfolgen und beseitigen. Der Kampf zwischen den gesellschaftlichen Gruppen erreichte ein derartiges Ausmaß, dass im Jahr 1890 ein Gesetz gegen die Ausübung von Kämpfen und damit der Capoeira verabschiedet wurde. Menschen, die Capoeira seither ausübten, mussten mit Freiheitsstrafen, Misshandlungen oder Verschleppung auf die Insel “Ilha Fernando de Noronha” rechnen.
Nichts desto trotz überwand die Capoeira das Verbot und die Unterdrückung und fand immer wieder Wege der Anwendung. Um sich gegenseitig vor der Polizei zu warnen, kreierten die Capoeiristas bestimmte Rhythmen auf ihren Instrumenten, die sie spielten, wenn ein Polizist in ihre Nähe kam.
Der Legende nach war einer der geschicktesten und wendigsten Capoeiristas der berühmte Besouro Mangangá, der für die Ärmsten und Schwächsten kämpfte und für Freiheit und Gerechtigkeit einstand. Er wurde stets gesucht und verfolgt, konnte jedoch nie festgenommen werden. Bis heute wird Besouro Mangangá in Liedern besungen und innerhalb der Capoeira als Symbol für den Widerstand gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit geehrt.

Mestre Bimba

Für die Verbreitung und weitere Entwicklung der Capoeira ist insbesondere Manoel dos Reis Machado – der bekannte Mestre Bimba – verantwortlich und damit eine der wichtigsten Persönlichkeiten für die Capoeira.
Geboren wurde Mestre Bimba am 23. November 1900 in Sao Salvador da Bahia. Er lernte Capoeira bei dem Afrikaner Bentinho und in heimlichen Rodas, die in dieser Zeit stattfanden. Bentinho lehrte seine Schüler eine traditionelle Capoeira, die heute als Capoeira de Angola bezeichnet wird. Mestre Bimba erkannte jedoch die Dringlichkeit, Capoeira aus der Illegalität herauszuholen und gesellschaftsfähiger zu machen. Während Capoeira in seiner Zeit vor allem in unteren Gesellschaftsschichten angesiedelt und sehr brutal war, hatte Mestre Bimba die Vision, Capoeira in der Mitte der Gesellschaft anzusiedeln. Auch kannte er durch seinen Vater andere Kampfkünste wie Batuque oder Luta Livre und empfand Capoeira zunehmend als ineffizient und zu wenig strukturiert.
1930 gründete er das “Centro de Cultura Fisica Regional”, die erste Capoeira-Akademie überhaupt. Da Capoeira zu dieser Zeit noch verboten war, gab er seiner Akademie einen Namen, der nicht direkt auf Capoeira schließen ließ. Aus der Mischung aus Capoeira de Angola und verschiedenen Bewegungen und Techniken unterschiedlicher Kampfkünste kreierte Mestre Bimba einen neuen Capoeirastil. Er nannte ihn “Luta Regional Baiana” und läutete damit eine neue Phase in der Geschichte der Capoeira ein. Mestre Bimba führte auch neue Lehrmethoden und Bewegungsabläufe – die bis heute praktizierten “Sequencias de Bimba” – ein, um das Erlernen für Anfänger zu erleichtern. Damit die Capoeira nicht in direkte Verbindung mit der schamanistischen Religion des Candomblé gebracht werden konnte, legte er fest, dass seine Rodas ohne Atabaque und dafür mit einem Berimbau und zwei Pandeiros geführt wurden. In Anlehnung an andere Kampfkünste führte er zudem ein Kordelsystem sowie eine Trainingsuniform - das weiße “abadá” ein.
Die Institutionalisierung und Strukturierung der Capoeira führte schließlich dazu, dass Mestre Bimba sie 1937 bei der damaligen Regierung Brasiliens unter Getulio Vargas zeigen durfte. Kurz danach wurde das Verbot der Capoeira aufgehoben und erlangte Ansehen als Nationalsport.
In den kommenden Jahrzehnten breitete sich die Capoeira weltweit aus und wurde 2014 als Weltkulturerbe anerkannt.
Heutzutage wird Mestre Bimba als Vater der modernen Capoeira angesehen und ist überall dort, wo Capoeira gespielt wird, lebendig.

Mestre Pastinha

Neben Mestre Bimba ist Vicente Ferreira Pastinha, besser bekannt als Mestre Pastinha, ein bedeutender Name in der Capoeira. Mestre Pastinha ist der wichtigste Vertreter der Capoeira Angola (die traditionelle bzw. die Ursprungsform der Capoeira), der einen großen Teil zur Entwicklung dieser beigetragen hat.
Am 5. April 1889 in Salvador da Bahia geboren, erlernte Pastinha im Alter von acht Jahren die Kunst der Capoeira. Unterrichtet wurde er von dem Afrikaner Benedito, der sah, wie Pastinha von einem älteren Jungen aus der Nachbarschaft verprügelt wurde. Benedito lehrte ihn, seine Kampfkünste zu verbergen und seinen Gegner zu überraschen, wodurch er die Anerkennung des Jungen aus der Nachbarschaft erlangte.
Ob Pastinha seine Capoeiraschule vor oder nach Bimba eröffnete, ist umstritten, jedoch weiß man, dass seine Schüler gelbe T-Shirts und schwarze Hosen trugen, die Farben die der Ypiranga Futebol Clube benutzte.
1981 starb Mestre Pastinha im Alter von 92 Jahren arm und blind in einem Obdachlosenheim.